Wasserlinien, Wasserzeichen
Untersuchungen zur morphologischen Relevanz von Wasser und Gewässern in der Wiener Stadtbaugeschichte
- Autor
- Teilweise Koautorenschaft mit
- Betreuung
- Erich Raith
- Verena Winiwarter
- Laufzeit des Dissertationsvorhabens
- 2014–2019
- Gutachter
- Gerhard Stadler
- Martin Knoll
- Bild
- © Friedrich Hauer, 2019
Die Dissertation ist ein Ergebnis von mehreren der Umweltgeschichte der Wiener Gewässerlandschaft gewidmeten interdisziplinären Forschungsprojekten. Sie beschäftigt sich aus stadtmorphologischer Sicht mit der Frage, wie die menschliche Interaktion mit der Ressource Wasser im Allgemeinen und mit Fließgewässern im Speziellen Stadtentwicklung generiert und zu städtebaulichen Formungsprozessen beiträgt. Sie fragt nach den Wechselwirkungen zwischen der räumlichen Entwicklung Wiens und seiner Wasserlandschaft in einem Zeitraum, der von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart reicht. Es sind „Wasserlinien“ im doppelten Sinn, denen die Untersuchung in die Vergangenheit folgt: Einerseits sind es die Wege der verästelten, vielfach gefassten und gestalteten Wasserströme durch Stadt und Territorium, andererseits Linien, die sich als Abdrücke des menschlichen „Stoffwechsels mit der Natur“ in die baulich-physischen Strukturen der Stadt eingeschrieben haben. Als „strukturelle Permanenzen“ bewahren sie die Spuren des Zusammenwirkens von materiellen und immateriellen, von gesellschaftlichen und natürlichen Faktoren. Wie Wasserzeichen in Papier sind diese Linien nicht aus jedem Blickwinkel wahrnehmbar und dennoch den Texturen der Kulturlandschaft eingeprägt.
Es war der Anspruch der Arbeit, der Wechselbeziehung zwischen physischer Stadtentwicklung und Wasser in unterschiedlichen Detaillierungsgraden nachzugehen und ein entsprechendes Forschungsdesign zu entwickeln. Wasser erweist sich dabei einerseits als Voraussetzung von Siedlungsentwicklung und zentrale Standortbedingung, andererseits als ein Stadt und Territorium unmittelbar formender Faktor und als ein in Infrastrukturen gefasstes, „funktionalisiertes“ Element der modernen Stadt.
In sechs Transformationsstudien werden bedeutende Wiener Schauplätze der Koevolution von Stadt und Wasser analysiert. Diese sind so gewählt, dass sie ein naturräumlich, chronologisch und thematisch möglichst breites Spektrum abdecken: Zunächst wird die Stabilisierung und Urbanisierung der Wiener Donaulandschaft anhand von drei „amphibischen“ Stadtentwicklungsgebieten nachgezeichnet: Die Inselvorstadt Unterer Werd bzw. Leopoldstadt war über fünf Jahrhunderte die wichtigste „Kolonie“ Wiens in der hochwassergefährdeten stadtnahen Au. Wiens erste „Donaustadt“ war ein Produkt der Großen Donauregulierung (1870-1876) und eines der ausgedehntesten einheitlich konzipierten städtebaulichen Ensembles der Wiener Industrialisierungsepoche. Das Erdberger Mais wiederum ist ein unbeabsichtigtes Resultat von über drei Jahrhunderte zurückliegenden Regulierungsversuchen an der Donau. Der verlandete Mäander wurde zunächst zum größten Gemüsegarten der Stadt und in der Folge vielfach städtebaulich überformt. Ein weiteres Kapitel ist dem 1803 eröffneten Wiener Neustädter Schifffahrtskanalgewidmet. Er war als einzig vollständig artifizieller Wasserlauf Wiens ein sehr spezieller Donauzubringer und diente auch als Mühlenstandort und Wasserleitung. Sein innerstädtischer Transportkorridor wurde nach 1848 schrittweise für den Eisenbahnbetrieb adaptiert. Auf einer ebenfalls detailliert untersuchten 800 Meter langen Strecke des Währinger Bachs lassen sich drei städtebauliche Transformationsmuster unterscheiden. Seine 1848 realisierte ingenieursmäßige Neufassung als Bachkanal hat sich auf eigentümliche Weise in die Stadtstrukturen eingeschrieben. Der Wienfluss wiederum wurde ab 1894 als größter und unberechenbarster der stadtnahen Donauzubringer auf einer Länge von 17 Kilometern umfassend reguliert. Mit diesem multifunktionalen Großprojekt wurde Wiener Stadtbaugeschichte geschrieben und in mancher Hinsicht die funcional city des 20. Jahrhunderts vorweggenommen.
Die Arbeit wurde 2020 mit dem Rudolf-Wurzer-Preis für Raumplanung ausgezeichnet.
Forschungsprojekt URBWATER
Buchprojekt Wasser Stadt Wien