Fachkonzept Hochhäuser
Strategien zur Planung und Beurteilung von Hochhausprojekten
- Projektlaufzeit
- August 2014 bis November 2014
- Projektleitung
- Christoph Luchsinger
- Projektteam
- Andre Krammer
- Frank Schwenk
- Barbara Maschat
- Hans Peter Graner
- Publikation
- Bild
- © Stadt Wien, MA 21
Wien als exemplarische mitteleuropäische Stadt hat sämtliche Vorteile einer geografisch, topografisch-landschaftlich, räumlich, typologisch und atmosphärisch hochwertigen, sehr klar strukturierten, eindeutig lesbaren und hervorragend lebbaren Stadt. Wien hat nicht zuletzt wegen einer solch reichhaltigen Urbanität und städtebaulichen Stimmigkeit schon immer eine vorsichtige Haltung gegenüber Hochhausentwicklungen eingenommen, nicht einfach nur, weil Hochhäuser im modernen Sinn etwas Neues und damit Verdächtiges darstellen würden, sondern vielmehr, weil Hochhäuser mit ihrer herausragenden physischen Präsenz im Stadtbild nicht einzelnen, sondern möglichst allen Stadtbürgerinnen und -bürgern dienen sollen.
Hochhäuser sind Leittypen des modernen Städtebaus und bilden einen klaren Kontrast zur herkömmlichen Stadt, in der Hochpunkte gleichbedeutend waren mit außerordentlichen Funktionen und Bedeutungen. Als Prototypen von ökonomisch aufgeladenen, manchmal verdichteten, manchmal individuellen, vereinzelten Bauweisen sind Hochhäuser heute oft Projektionsflächen für großstädtische, an internationalen Vergleichsbeispielen orientierten Entwicklungs- und Modernisierungsszenarien.
Die Hochhausfrage in dieser einfachen Weise zu interpretieren oder zu instrumentieren, läuft einem verantwortungsbewussten planerischen Umgang mit den über Jahrhunderte angereicherten städtebaulichen Qualitäten Wiens zuwider. Umgekehrt soll sich Wien zukünftigen Transformationen, auch unter Einsatz von Hochhäusern, nicht verschließen, sondern sich diese im Gegenteil mittels strategisch überlegten Konzepten aneignen. Grundlegende Voraussetzungen dafür sind der Allgemeinheit dienliche Mehrwerte und ein mehrheitsfähiger stadtbürgerlicher Konsens.
Vor dem geschilderten Hintergrund richtet das vorliegende Hochhauskonzept für Wien sein Augenmerk zunächst auf die Frage angemessener Verhaltensweisen von Hochhausentwicklungen und beschreibt diese bezugnehmend auf eine großmaßstäbliche Einschätzung der städtebaulichen Signifikanz der Wiener Stadtbereiche und auf die Charakterisierung von situativen Mehrwerten, ohne die eine oder andere Kategorie normativ festzulegen. Im Gegenteil wird verlangt, dass jedes einzelne Hochhausprojekt einer Rechtfertigung hinsichtlich seiner quantitativen und qualitativen Disposition, basierend auf den im Hochhauskonzept formulierten Rahmenbedingungen, bedarf. Mehrwerte werden in diesem Konzept jedenfalls verstanden als Anreicherung gleichermaßen örtlicher, stadtteilbezogener und in Betrachtung der gesamten Stadt relevanter Notwendigkeiten und Qualitäten.
In Folge bedeutet dieses Planungspostulat, dass in einem verbindlichen Prozessdesign die wichtigsten Schritte der planerischen Annäherung an gangbaren Lösungen skizziert und abgehandelt werden. Dazu gehört ganz wesentlich die Einbindung aller Interessenvertretungen, insbesondere der Öffentlichkeit auf allen Stufen des Planungsprozesses, um Stadtentwicklungsvorhaben mit Hochhäusern breitmöglichst zu optimieren und letztlich zu verankern. Die rechtliche Sicherstellung solcher Optimierungen könnte zum Beispiel auf der Basis von städtebaulichen Verträgen erfolgen und mittelfristig über Widmungen auf Zeit sichergestellt werden. Unbesehen von solchen neuartigen Vertragsinstrumenten ist es zweifellos nach wie vor und zukünftig vielleicht noch viel wichtiger, auf der Basis gemeinsamer Perspektiven, von Kooperation und Konsens, Projektentwicklungen voranzubringen. Kooperative Planungs- und Partizipationsverfahren haben katalysatorische Wirkung für eine Umweltgestaltung im Sinne von Smart City, was insbesondere auch für Hochhausentwicklungen gilt.
Neben städtebaulichen Verhaltensweisen, Mehrwerten und Prozessdesign rückt unter dem Eindruck der sehr schnell wachsenden Stadt Wien das Thema Wohnen im Hochhaus zusätzlich in den Fokus. Der soziale Wohnbau in Wien hatte immer schon eine besondere Stellung im Wiener Städtebau, die sich auch immer wieder durch mustergültige Lösungsansätze – mitunter auch in Form von Hochhäusern über 35 m – manifestierte. Die Rahmenbedingungen für den geförderten Wohnbau haben sich naturgemäß immer wieder verändert, und neue Herausforderungen, wie beispielsweise energetische und ökologische Zielsetzungen, neue Wohnansprüche und Formen des Zusammenlebens, Sicherstellung der sozialen Nachhaltigkeit und der Leistbarkeit unter schwierigeren ökonomischen Rahmenbedingungen sind dazugekommen und wurden auch in Angriff genommen. Um leistbares Wohnen im Hochhaus zu ermöglichen, braucht es jedoch neuartige Ansätze kooperativer Projektentwicklungs- und Finanzierungsmodelle; das vorliegende Hochhauskonzept kann lediglich zentrale Anforderungen an heutige und zukünftige Wohnhochhausprojekte formulieren. Dazu gehören ganz wesentlich die Forderungen nach Nutzungsmischung und -flexibilität, nach sozialräumlichen Mehrwerten und der Sicherstellung adäquater und sorgfältig konzipierter Freiräume – und selbstverständlich hochwertiger architektonischer Ausarbeitung in allen Maßstäben.
Das Hochhauskonzept setzt darauf, städtebauliche und prozessuale Zusammenhänge verständlich zu machen, und vertraut auf einen dazu passenden planungskulturellen Umgang mit diesen komplexen Themen und Abläufen. Eine auf verfahrensbasierte Problemlösung fußende und den kooperativen Gemeinsinn adressierende Vorgehensweise stellt einen großen Anspruch an alle in der Entstehung einer Hochhausentwicklung in Wien Beteiligten. Gerade diese Herausforderung jedoch macht den Kern des Hochhauskonzepts Wien aus und soll durchaus so verstanden werden, dass im Rahmen dieses Konzepts Experimente zukünftiger Stadtentwicklung Ort und Einbettung finden werden.
Im Zuge der Erarbeitung des Hochhauskonzepts haben sich planungstechnische und -praktische Wünsche ergeben, die an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben mögen: Die Stadt Wien verfügt mit ihrem Datenbestand über ein weltweit wohl einmalig vollständiges und darstellbares Wissen, Datentransparenz und Datenzugänglichkeit werden zukünftig in eine neue Planungsmentalität überführt, was sehr zu begrüßen ist, um zum Beispiel auch Hochhausvorhaben in all ihren Bedeutungen und Konsequenzen abbilden zu können. Datentransparenz sollte jedoch über den Anlassfall hinaus die Möglichkeit unterstützen, sich ein Bild der Entwicklung der Stadtgestalt Wiens zu machen, wofür laufend aktualisierte 3D-Modelle und vor allem ein physisches Modell hervorragende Dienste leisten. Mithilfe dieser beiden Darstellungen Wiens bildeten sich nicht nur künftige Hochhausentwicklungen, sondern alle größermaßstäblichen Planungen Wiens ab und ließen sich umfassend diskutieren und entscheiden.
Das vorliegende Hochhauskonzept baut auf den Werten der städtebaulichen Leitlinien für Hochhäuser aus dem Jahr 2002 auf, verlagert aber absichtlich die Aufmerksamkeit auf gesamtstädtische Betrachtungen und flexible, strukturierte Entscheidungsprozesse unter Einbezug aller Beteiligten im Interesse höchstmöglicher Qualitätssicherung. Einbezug heißt ebenso Verantwortung, weshalb das Hochhauskonzept rechtliche Sicherstellungen als Grundprinzip für alle Beteiligten vorsieht. Das vorliegende Hochhauskonzept ist keine gesetzliche Festlegung, sondern ein Leitbild und Leitfaden. Es verlagert städtebauliche Einschätzungen und Prämissen des bisherigen Hochhausleitbilds behutsam in Richtung einer weniger normativen, dafür vermehrt prozessorientierten, stadtanalytischen, gesamtheitlichen Betrachtungsweise.
Hochhäuser in Wien sind immer Anlass zu Diskussionen aller möglicher Interessen und Ideologien. Diese Diskussionen sind wichtig und müssen laufend weiter geführt werden. Das Hochhauskonzept versteht sich diesbezüglich als eine Zusammenfassung von begrifflich fassbaren Entscheidungshilfen, welches es zukünftig anzupassen und zu präzisieren gilt.
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