Urbanität durch Wohnen - Eine neue Stadterneuerung
Erarbeitung von Kriterien zur Verbesserung der Wohnraumversorgung bestehender Wohnanlagen unter besonderer Berücksichtigung des Dichtebegriffs
- Project duration
- March 2013 to September 2013
- Project lead
- Christoph Luchsinger
- Project team
- Christoph Lammerhuber
- Isolde Rajek
- Manfred Schenekl
- Dorothee Huber
- Klara Hrubicek
- Final Report
- Image
- © Stadt Wien, MA 41 Stadtvermessung
Abstract
Aufgabe des Forschungsprojekts ist es, Maßnahmen und Interventionen zur Verbesserung der Wohnraumversorgung bestehender Wohnanlagen der 1950er- bis 1970er-Jahre zu erarbeiten und dabei zu überprüfen, wie weit Dichte in diesem Zusammenhang ein städtebaulich und wohnungspolitisch relevantes Konzept darstellen kann bzw. in welcher Weise nachverdichtende Maßnahmen zielführend sein können. Der entwickelte Maßnahmenkatalog und die Überlegungen zum Dichtebegriff sollen anhand konkreter Wohnanlagen aus dem Bestand der 1950er- bis 1970er-Jahre erprobt und illustriert werden.
Zur Relevanz des Dichtebegriffs im Kontext der Wohnraumversorgung
Entlang theoretischer Überlegungen, historischer Analysen und der Arbeit an ausgewählten Wohnanlagen lässt sich zeigen, dass Dichte keine städtebauliche Kategorie ist, über die eine konkrete Leitzahl erlangt werden kann. Dichte stellt weder als Verhältnis Bruttogeschossfläche zu Baugrund (GFZ) noch als Verhältnis EinwohnerInnen oder Wohnungen pro Hektar ein Maß zur Verfügung, mit welchem über die Qualität eines städtebaulichen Konzepts entschieden werden kann. Auch soziologischen Theoriebildungen entlang einer kritischen (Kontakt-)Dichte, die an einem bestimmten Punkt umschlägt und Urbanität hervorbringt, ist kein Maßstab zu entnehmen. Dichte gemessen als Verhältnis Bruttogeschossfläche zu Baugrund kann allerdings eine Zielvorgabe und präzise zu argumentierende Größe sein, wenn es darum geht, ein Grundstück zu verwerten. An dieser Stelle erweist sich eine höhere Dichte als mehrwertbildende Größe und preissteigernder Faktor am Grundstücksmarkt. Über den gesamten Zeitraum des gründerzeitlichen Wohnbaus bis 1914 führte dieses Kalkül zu extremen Bebauungsdichten, Wohnungselend und unzumutbaren Belegungsdichten und konnte eine ausreichende Wohnraumversorgung weder qualitativ noch quantitativ sicherstellen. Es gelangte genau dort an seine Grenze, wo die Mieterwartungen aufgrund der geringen Haushaltseinkommen trotz Überbelegung nicht mehr erfüllt werden konnten.
Neben den schlechten Wohnungsverhältnissen, die erst ab den 1970er-Jahren im Rahmen der Stadterneuerung sukzessive abgearbeitet werden konnten, führte diese Logik des spekulativen Wohnbaus zu jener sozialräumlichen Segregation Wiens, die auch heute noch spürbar ist.
Eine qualitativ und quantitativ ausreichende Wohnraumversorgung wurde erst erreicht, als nach 1918 und schließlich nach 1945 die sozialdemokratische Wohnbaupolitik diese Dynamik mittels Gemeinde- und geförderten Wohnungsbau unterlief und über Beschränkungen der Bebaubarkeit nicht nur andere Dichtevorstellungen durchsetzte, sondern damit auch ein anderes Regelungssystem zur Sicherung der Wohnraumversorgung. Dichtebeschränkungen und eine Limitierung spekulativer Dynamiken innerhalb der Wohnraumversorgung können als zentraler Bestandteil der sozialdemokratischen Wohnungspolitik in Wien verstanden werden.
Unabhängig ob Nachverdichtung ökonomisch, ökologisch oder soziologisch motiviert ist, stellt sich auch die Frage, wer das materielle Resultat einer Verdichtung und die Konsequenzen zu tragen hat. Änderungen der Dichtezumutungen sind in diesem Sinne als verteilungspolitische Fragen zu adressieren, in welchen sich auch das sozialräumliche Potenzial demokratischer Gleichheitsversprechen aktualisiert.
Die historisch-theoretische Analyse macht deutlich, dass die Frage nach Dichte und Nachverdichtung im Kontext der Wohnraumversorgung eine politische Entscheidung verlangt und vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer, sozialer und sozialräumlicher Erwägungen und Gesichtspunkten zu diskutieren ist.
Zum räumlichen Potenzial der untersuchten Wohnanlagen
In allen im Rahmen der Studie untersuchten Wohnanlagen kann ein städtebauliches und der Bauordnung nach vertretbares Potenzial für raumgenerierende Maßnahmen von 10 bis 30 Prozent ausgewiesen werden. Dabei handelt es sich vor allem um Aufstockungen, Intensivierung bestehender Nutzungen oder Neubau auf Frei- bzw. Grünflächen, d. h. um eine Konversion bestehender Nutzungen und Flächen.
Einer solchen Konversion setzen allerdings die bestehenden sozialräumlichen Nutzungen und Verankerungen Widerstand entgegen. Gerade das Gebaute und die Konfiguration einer Siedlung verleihen dem Sozialen und den individuellen Biografien eine gewisse Standsicherheit. Die großzügigen Grün- und Freiflächen gerade der Wohnanlagen der 1950er- und 1960er-Jahre sind als sozialer Raum integraler Bestandteil des Lebens in den Wohnanlagen. Alle aktuellen Untersuchungen und Studien zu Lebensqualität und Wohnzufriedenheit weisen auf den hohen Stellenwert hin, welchen gerade diese Flächen für die BewohnerInnen haben.
Bei diesen Überlegungen darf auch das hohe gesellschaftliche und politische Steuerungspotenzial nicht aus dem Blick geraten, welches die mehrheitlich im Besitz der Stadt Wien oder gemeinnütziger Wohnbauträger befindlichen Siedlungen der 1950er- bis 1970er-Jahre darstellen. Über eine Verbesserung der Wohnraumversorgung in diesem Bestand kann nicht nur eine hohe Akzeptanz der Bevölkerung zu kommunalpolitischen Maßnahmen erreicht werden, es können auch breite Bevölkerungsschichten für notwendige Änderungen in der Stadt adressiert werden. Ebenso kann die Erneuerung dieser teilweise großen Wohnensembles zum Anker einer zeitgemäßen und modernen Urbanität werden.
Urbanität durch Wohnen – Für eine neue Stadterneuerung
Im Unterschied zum Gründerzeitbestand als Adressat der mittlerweile klassischen Stadterneuerung verfügen die Wohnanlagen der 1950er- bis 1970er-Jahre über gut ausgestattete Wohnungen, über qualitätsvolle Wohnungsgrundrisse, ausreichende Belichtung und in der Regel über große Frei- und Grünbereiche. Ihre spezifischen Mängel sind oft Ergebnis nachfolgender städtebaulicher Entwicklungen, gesellschaftspolitischer Veränderungen und Sichtweisen, ökologischer Erfordernisse oder Folge ihrer generativen Biografien. Neben Mängeln in der materiellen Ausstattung bzw. Zurüstung, wie fehlender Barrierefreiheit, unzureichender Energiebilanz und geringer Stellplatzversorgung oder auch dem Fehlen privater Freibereiche in den Anlagen der 1950er-Jahre, blieben die Wohnanlagen im Zuge ihres Älterwerdens meist hinter den aktuellen Anforderungen an städtische Lebensräume zurück. So verfügen sie zwar über ausreichend große Grünflächen, die auch einen zentralen Stellenwert im Wohnumfeld einnehmen, gleichzeitig sind diese Grünflächen hinsichtlich ihrer Benutzbarkeit stark eingeschränkt. Auch stehen die Wohnhäuser unmittelbar im Grün- und Freibereich, es fehlen aber direkte Zugänge aus dem Wohnbereich in den Freibereich. In den meisten Anlagen wurden Kinderspielplätze und Aufenthaltsflächen im Freien gar nicht oder kaum modernisiert, spezifische Funktionsflächen für Jugendliche fehlen oft gänzlich. Der im Laufe der Zeit entstandene Bedarf an Funktionsräumen, wie Gemeinschaftsräumen oder Fahrradgaragen, wurde selten gedeckt.
Handlungsbedarf signalisieren auch die demografischen Profile der Wohnanlagen. Der hohe Anteil an älteren Personen legt nahe, dass hier vor allem im Bereich Barrierefreiheit und Optimierung des Wohnungszuschnitts neue Angebote in der unmittelbaren Wohnumgebung sinnvoll sind.
Können diese und ähnliche Defizite über ein umfangreiches Maßnahmenbündel behoben werden, zeigt sich eine weitere Problemstellung materiellen Einsätzen gegenüber resistenter.
Es handelt sich um das Ansehen bzw. schlechte Image der Wohnanlagen der 1950er- bis 1970er-Jahre und eine gewisse Abgehängtheit, nicht nur hinsichtlich ihrer Situierung, sondern vor allem innerhalb des Sprechens über Stadt. Wann immer über das Gegenwärtige, Zeitgenössische, über Urbanität, Kultur und die Aktualität von Stadt gesprochen wird, die Wohnanlagen dieser Epoche finden kaum Erwähnung. Und das, obwohl ein großer Teil der Wiener Bevölkerung in diesen Anlagen wohnt oder zumindest biografische Bindungen zu ihnen unterhält.
Der Wohnbau in Wien besitzt traditionell einen hohen politischen Stellenwert. Allerdings gelang es bisher nicht, ihn innerhalb eines umfassenden Verständnisses von Urbanität zu konzeptionieren bzw. einen alternativen Begriff von Urbanität auszuarbeiten, der dem Wohnen und seinem Umkreis in seiner Eigenständigkeit einen entsprechenden Stellenwert einräumt. Es gilt im Rahmen der neuen Stadterneuerung eine Konzeption von Urbanität voranzustellen, welche die bisherigen auf Zentrum, Arbeit und Konsum eingeschränkten Urbanitätskonzepte übersteigt und erweitert. Stadt ist mehr als die „gemischte Stadt“ im Inneren. Gleichzeitig kann die Aufwertung der Wohnanlagen der 1950er- bis 1970er-Jahre zur Methodenfrage gemacht werden, und zwar genau dann, wenn es gelingt, unter Wahrung eines Rechts auf Stadt im Namen der Wohnbevölkerung und mit ihr, die Qualität dieser Lebensräume zu verbessern und dabei diese erweiterte Konzeption von Urbanität im unmittelbaren Lebens- und Wohnumfeld zu einer sozialen Praxis zu machen. Recht auf Stadt in diesem Zusammenhang heißt, Urbanisierungsprozesse zu gestalten und mitzuentscheiden, heißt zu entscheiden, was gebaut wird und wie der entstehende Mehrwert genutzt wird. Aus dieser Sicht sind nachverdichtende Interventionen dann akzeptabel, wenn sie das Ergebnis bevölkerungsnaher Entscheidungen und einer Verbesserung der Wohnraumversorgung sind.
Elemente einer neuen Stadterneuerung
Im Rahmen der Untersuchung zeigte sich, dass im Wohnraumbestand der 1950er- bis 1970er-Jahre spezifische Mängel und Qualitäten bestehen, die sich von jenen im Gründerzeitbestand deutlich unterscheiden. Die Verbesserung und Aktualisierung des Wohnraumbestands der Wiener Nachkriegsmoderne erfordert daher eine auf diese Wohnanlagen zugeschnittene und entsprechend konzipierte Stadterneuerung. In der Arbeit an konkreten Wohnanlagen konnte eine Reihe von Maßnahmen entwickelt und überprüft werden, die geeignet sind, auf die spezifischen Mängel zu reagieren und die Wohnraumversorgung in den ausgewählten Wohnanlagen qualitativ zu verbessern. Auch konnte im Zuge der Analyse ausreichend Potenzial für nachverdichtende Maßnahmen ausgewiesen werden. Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass nachverdichtende Maßnahmen im Bestand der Nachkriegsmoderne in erster Line vor dem Hintergrund gesellschafts- und sozialpolitscher sowie sozialräumlicher Erwägungen zu beurteilen sind und nur dann vertretbar erscheinen, wenn sie das Ergebnis bevölkerungsnaher Entscheidungen im Rahmen einer qualitativen Verbesserung der Wohnanlagen sind. Eine rein aus ökonomischen Gründen motivierte Nachverdichtung (günstige Wohnraumschaffung) ist auch als verteilungspolitisches Problem zu adressieren und sieht sich, nicht zuletzt auch aufgrund der Schwierigkeit der Festlegung von Grenzwerten und ihrer verlässlichen Ableitung, in den Umkreis gesellschaftspolitischer Entscheidung verwiesen. Das heißt, dass letztendlich auch die Frage einer quantitativen Verbesserung der Wohnraumversorgung mittels Nachverdichtung an den Nachweis einer qualitativen Verbesserung rückgebunden ist und nur im Rahmen einer Stadterneuerung entschieden werden kann.
Als Eckpunkte der Stadterneuerung des Wohnraumbestands der 1950er- bis 1970er-Jahre werden vier Transformationen vorgeschlagen, die auch als stabilisierende Instanzen einer nachhaltigen Stadterneuerung zu verstehen sind.
Sozialräumliche Transformation
Alle Maßnahmen sind im konkreten Fall bezüglich ihrer sozialräumlichen Nachhaltigkeit zu überprüfen. Darunter fallen Maßnahmen im Frei- und Grünraum, bauliche und Maßnahmen in den Bereichen Infrastruktur und Erschließung etc. Thematisch kann dieser Eckpunkt auch über die Begriffe Kommunikation und Begegnung, Erhalten und Pflegen, Anpassen und Korrigieren, Erneuern und Erweitern beschrieben werden.
Image-Transformation
Ein wesentliches Defizit des Bestands der 1950er- bis 1970er-Jahre ist ihr schlechtes Image. Im Rahmen einer Stadterneuerung sind Interventionen auch hinsichtlich ihrer Eignung für eine Imagekorrektur zu bewerten. Darüber hinaus sollen auch konkrete bauliche, symbolische und narrative Einsätze entwickelt werden, die helfen, das Image der Wohnanlagen zu verbessern.
Demokratische Transformation
Im Sinne eines Rechts auf Stadt und einer urbanen Demokratie sind Transformationen in den Wohnanlagen im Rahmen geeigneter Maßnahmen der Mitbestimmung und Beteiligung zu entwickeln bzw. abzustimmen. Die demokratische Transformation ist selbst Teil der Stadterneuerung.
Ökologische Transformation
Umfasst die bestehende bzw. neue Förderschiene Thewosan plus.
Maßnahmenkatalog
+ Neue Räume: aufbauen, intensivieren, weiterbauen +
Erweiterung des Raumangebotes für Gemeinschaftsräume, Kinder, Basteln, Fitness und Sport
Schaffung neuer Funktionsräume für Fahrräder und Kinderwagen
Schaffung von Infrastruktureinrichtungen zur Nahversorgung
Erweiterung des Raumangebots innerhalb der Wohnanlagen für Büro- und Gewerbenutzungen (lokale Ökonomie, Potenzial für neue Netzwerke)
Verbesserung der Wohnraumversorgung durch Errichtung von barrierefreien Altenwohnungen, Familienwohnungen, Singles, WGs usw.
+ Erneuerung des Bestandes: ausbauen, umbauen, anbauen +
Ausbildung von Entrees, Vergrößerung der Hauseingänge und Integration der Abstellbereiche für Kinderwagen und Fahrräder auf Gehwegniveau, ausreichend Raum schaffen für die Postentnahme und nachbarschaftlichen Austausch
Verknüpfung der Erdgeschosszone mit dem Freiraum
Ein- bzw. Anbau von Loggien und Balkonen, Ermöglichung von Dachterrassen und -begrünungen
Einbau von Aufzügen und Umsetzung von Maßnahmen im Bereich der Barrierefreiheit
Stärkung der bestehenden Infrastruktur und bedarfsorientierte Erweiterung (altersgerechte Infrastruktur)
+ Maßnahmen im Grün- und Freiraum +
Herstellen von Begegnungs- und Kommunikationszonen im Freibereich
Bereitstellen von Plätzen zum Verweilen und Sitzen, Unterstellen und Abstellen im Nahbereich der Hauseingänge, die auch als Kommunikationsräume funktionieren
Ausgestaltung multifunktionaler Erschließungszonen, die offen sind für zusätzliche Anlagerungen und die Einbindung verschiedener Funktionen
Attraktivieren bestehender Nutzungen wie Kinderspielplätze, Begegnungszonen etc.
Erschließung bestehender Stellplätze für temporäre und provisorische Nutzungen durch geeignete Gestaltungsmaßnahmen
Erhaltung des Grünraums und Entwicklung extensiver Pflegekonzepte
Definieren oder Auflösen von Übergängen und Schnittstellen
Anschließen an das Stadtgefüge und den öffentlichen und Landschaftsraum
Bereitstellen von Gemüsegärten und gemeinschaftlichen Freiflächen
+ Image- und identitätsstärkende Maßnahmen +
Den Charakter der Wohnanlage stärken, vorhandene Orte charakterisieren und lesbar machen
Zeitgeschichtliche Aufarbeitungen der Wohnanlagen, Stadt erzählen: z. B. 1950–1970 ©WienModerne | zur Rekonstruktion einer Epoche
Ausarbeiten des Konzepts „Urbanität durch Wohnen“
Aneignungen ermöglichen
Konzeptualisierung des Rechts auf Stadt im Rahmen der neuen Stadterneuerung und Entwicklung von Beteiligungsmöglichkeiten
Bereitstellen von Räumen und von Möglichkeiten zur Mitbestimmung
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